Ich liebe diesen Freitag im Juni. Diesen einen Tag im Jahr, an dem die Klarsichthüllen Ausgang haben. Diesen Tag, an dem sich morgens alle lachend auf den Weg machen. An dem die schweren Taschen zu Hause bleiben, genauso wie die Last der Erwartung. An dem Kinder Blumen mitbringen, statt Frust. Ich liebe diesen Tag, den letzten Schultag vor den Sommerferien.
Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal eine leere Klarsichthülle zur Schule getragen habe. Und trotzdem: An diesem einen Tag liegt für mich bis heute eine Brise Leichtigkeit und Freiheit in der Sommerluft. Auf dem Weg zur Arbeit konnte ich sie schmecken. Frei und leicht,mit einer kräftigen Note Vorfreude, hat es da geschmeckt vor Schultoren und offenen Klassenzimmerfenstern. Ein Geschmack, der mir vertraut ist, der mich schmunzeln lässt. Es ist die befriedigende Gewissheit, etwas abgeschlossen zu haben. Dieses Gefühl, endlich Pause zu haben. Der Ausblick auf Tage und Wochen der Unbeschwertheit, auf Monate ohne Verpflichtungen und Leistungsdruck. Auf Ruhe.
An diesem letzten Schultag durch die Freiheitssommerluft zur Arbeit radelnd, dachte ich darüber nach, dass mein Hirn nur dann funktioniert, ich nur dann kreativ sein kann, wenn ich Pausen mache. (Selbst diesen kurzen Text schreibe ich nicht am Stück.) Ich dachte darüber nach, dass ich außer schlafen eigentlich gar nichts acht oder mehr Stunden ununterbrochen machen will. Nicht küssen, nicht schreiben, nicht radfahren.
Ja, ich habe großes Glück: Ich mag meine Arbeit – vieles davon sogar sehr. Ich schleppe keine Pflastersteine, bücke mich nicht übers Fließband. In meinem Job sitze ich anständig bezahlt an einem Schreibtisch, darf meine Ideen einbringen und meinen Überzeugungen treu bleiben. Darüber hinaus muss ich selten wirklich lange in den Bildschirm glotzen und in die Tastatur klopfen. Und trotzdem: Ich brauche meine Dosis arbeitsfreie Zeit. Täglich. Und wenn heute große Skepsis darüber herrscht, ob wir in Österreich einen 12-Stunden-Arbeitstag wollen, dann auch deswegen, weil ich mit diesem Bedürfnis nicht alleine bin. Sei es weil die Hände müde werden, der Rücken verkrampft oder die Ideen versiegen – Pflasterschupfer oder Sesselfurzer, jeder braucht Zeit für sich selbst und für die Liebsten.
Aber mit der täglichen Portion Ruhe ist es nicht getan. Ich brauche auch längere Pausen. Urlaubspausen zum Beispiel. Fünf Wochen stehen mir da zur Verfügung, für wirksame Entschleunigung – tatsächlich gehe ich dann auch langsamer – brauche ich drei davon am Stück. Mindestens.
Vergleichsweise sind diese 25 Urlaubstage natürlich Luxus: US-Amerikanerinnen und Amerikaner haben nur durchschnittlich 15 Tage Urlaub. Chinesinnen und Chinesen gar nur 10 Tage – das sind 240 von 8760 Stunden im Jahr arbeitsfrei. Wie kann das gehen?
Stimmt schon, ich kann über derartiges nachdenken, weil ich gut gebildet in einem der reichsten Länder der Welt in einem Büro sitze. Ich kann darüber sinnieren, ob ich mir zum eigenen Seelenwohl Zeiten der Ruhe verordne. Ich kann es mir leisten, weniger zu arbeiten, etwa um mich weiterzubilden und meinen Horizont zu erweitern. Die meisten Menschen können das nicht.
Trotzdem – oder vielmehr weil ich dieses Privileg auch als Verpflichtung begreife: Ich plädiere für die regelmäßige Auszeit. Jeden Tag genügend Stunden, jedes Jahr ein paar Monate, alle paar Jahre ein ganzes Jahr. Ich plädiere für die schamlose Nutzung sämtlicher Sabbaticals, Bildungskarenzen und sonstiger institutionalisierter Pausenspender. Ich will Reisepausen und Schreibklausuren. Ich will Dinge bewusst beenden, Ruhe bewusst genießen, um dann bewusst neu zu beginnen. Ich kann jeden Tag, jeden Moment, in die wohlverdienten Ferien starten. In diesem Sinne: Ich bin dann mal in der Sonne.